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Klaus Büstrin, PNN
               
Ihre Lebenslinien von 1934 bis 1970 hat Hiltrud Rothe
 aufgezeichnet und in einem Buch unter dem Titel "Mein Rittersporn"
 im Märkischen Verlag Wilhelmshorst soeben herausgebracht. Die Potsdamer
 Autorin und der Verlag stellten gestern das schmale Bändchen im
 Babelsberger Oberlinhaus vor. Das hat seinen guten Grund, denn Hiltrud Rothe
 war in der diakonischen Einrichtung mehr als 20 Jahre tätig. Der Betreuung
 und Erziehung von behinderten Kindern und Jugendlichen widmete sie sich vor
 allem.Doch die Zeit im Oberlinhaus spielt in diesem Buch keine Rolle. Sie soll in
 einem weiteren Manuskript beleuchtet werden. 1993 muss die gelernte
 Gemeindediakonin aus gesundheitlichen Gründen ihren Dienst quittieren.
 Hiltrud Rothe ist nun ohne Arbeit, ohne Verantwortung.
 "Ich prüfe meine Vergangenheit und Gegenwart und merke, dass ich
 unverstanden in meiner Zeit schaukle", schreibt sie in "Mein
 Rittersporn". Sie beginnt ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, kauft sich
 einen Computer und folgt einer Anzeige, ein Fernstudium in der Fachrichtung
 Belletristik an der Andersson-Akademie in Hamburg zu absolvieren. Sie will
 ihrem Schreibhandwerk mehr Sicherheit geben. Das gelingt Hiltrud Rothe mit
 Erfolg. Der Verleger des Märkischen Verlags, Klaus-Peter Anders, liest
 eines Tages das Manuskript über die Lebensstationen der Gemeindediakonin.
 Er möchte das Aufgeschriebene vielen Lesern ans Herz legen. "Meine
 Erinnerungen... bilden keine zusammenhängende Lebensgeschichte, es sind
 Fragmente meiner Geschichte, es sind Fragmente meiner ländlichen
 Erlebniswelt und Jugendzeit, wie ich sie heute mit meinem Herzen und meinen
 Augen sehe." Gut, dass Hiltrud Rothe sie aufgeschrieben hat, damit die
 Vergangenheit, von der wir leben, nicht vergessen wird. Mit viel
 Herzenswärme blickt die Autorin auf einen Abschnitt ihres Lebens
 zurück. Und so liest man auch ihren Text.
 Aus Vorpommern stammt die Autorin. Mit ihren drei Schwestern wächst sie in
 Penkun auf. Von den schweren Kriegs- und Nachkriegsjahren erzählt sie, vom
 Verlassen der Heimat und der Rückkehr. 1947 wird sie eingeschult.
 "Das Schreiben übten wir auf Rändern alter Zeitungen. Einige
 Kinder benutzten sogar einfache Schieferdachschindeln als Tafel."
 Hiltrud Rothe berichtet, dass die Familie in der frühen DDR als
 "Außenseiter" betrachtet wird, der Vater ist Bauunternehmer,
 also "Kapitalist", und die Mutter engagiert sich kirchlich. Hiltruds
 Weg führt zur Ausbildung als Gemeindediakonin im Seminar für
 kirchlichen Dienst nach Züssow und Greifswald. Humorvoll weiß die
 Autorin über einige Episoden aus diesen Jahren zu berichten:
 "Besuchten wir den sonntäglichen Gottesdienst, führt unser (hier
 sind die Mädchen gemeint, d.Red.) Weg zur Kirche am Brüderhaus
 vorbei, wo junge Diakone ausgebildet wurden. Natürlich waren wir
 theoretisch im Umgang mit dem anderen Geschlecht geschult – was die
 Praxis anbelangte, sollten wir mit der Ausübung lieber noch warten. Die
 Parole lautete: 'Schwestern, schlagt die Augen nieder, die Brüder kommen!'
 Zwar neigten wir sittsam die Köpfe, fanden aber immer den richtigen
 Blickwinkel, Interesse zu signalisieren."
 Auf der Insel Usedom, da arbeitet sie als Katechetin, lernt sie Fridolin kennen,
 der inbrünstig Fußballer-Lieder singen kann, aber beim Probieren von
 Weihnachtsliedern im Kirchenchor seine Schwierigkeiten hat. Er meint
 nämlich, "dass ihm der Applaus fehle und er die Trillerpfeife des
 Schiedsrichters vermissen würde". Am Freitag, den 13. Februar 1970
 wird geheiratet. Der Rittersporn, den Fridolin der Heldin dieser
 "Lebenslinien" zur Verlobung schenkt, wird zum Symbol ihrer Liebe.
 Sie pflanzt die Staude dicht an ihr Haus, pflegt und hegt ihn. Hiltrud Rothe
 hat ein liebenswertes Buch geschrieben, das man sicherlich wieder gern zur Hand
 nehmen wird.
 Klaus Büstrin, PNN, 22.12.04 |